Auf­zeich­nun­gen in den Raum hinaus

Ein­zel­aus­stel­lung mit Ire­ne Weingartner
Sam Scher­rer Contemporary
Kura­tiert: Susan­ne Sauter
Aus­stel­lung vom 18.1.–9.1.2019

 

 

 

Archi­tek­to­ni­sche Struk­tur auf Seis­mo­gra­phi­scher Auf­zeich­nung vom Kör­per aus­ge­hend IX, Blei­stift, Tusche und Aqua­rell auf Papier mit Aus­schnitt­zeich­nung; Tusche auf Trans­pa­rent­pa­pier, 40x30cm, 2017

 

Detail: Archi­tek­to­ni­sche Struk­tur Auf Seis­mo­gra­phi­scher Auf­zeich­nung XIV, Blei­stift auf Papier mit Aus­schnitt­zeich­nung; Tusche auf Trans­pa­rent­pa­pier, 87 x 90 cm, 2018

 

Ire­ne Wein­gart­ner betreibt eine lang­jäh­ri­ge Recher­che im Bereich der Zeich­nung. Mit­tels einer von der Künst­le­rin erar­bei­te­ten Metho­de hält sie rele­van­te annah­men und Fra­ge­stel­lun­gen in form von Auf­zeich­nun­gen fest. Ver­gleich­bar zu bild­ge­ben­den ver­fah­ren, wie sie in der Wis­sen­schaft ange­wen­det wer­den, sucht Ire­ne Wein­gart­ner nach einer objek­ti­ven Dar­stel­lungs­wei­se, die sich auf annah­men oder Fra­ge­stel­lun­gen kon­zen­triert. Es ent­ste­hen flä­chi­ge Struk­tu­ren und Mus­ter, die sich je nach Gegen­stand stark unterscheiden.

Model­le 1 & 2 (CT), von Auf­zeich­nun­gen vom Kör­per aus­ge­hend, Bal­sa Holz, 2018

 

Ire­ne Wein­gart­ner tes­tet ver­schie­de­ne Dar­stel­lungs­wei­sen, wel­che das Zwei­men­sio­na­le über­schrei­ten und in den Raum hin­aus tre­ten. So lässt sie sich nicht abhal­ten, ihre Recher­chen auf einen Com­pu­ter­to­mo­gra­phen aus­zu­wei­ten und mit vir­tu­el­len Dar­stel­lungs­mög­lich­kei­ten zu experimentieren.

 

Phan­tom XLII, Print von Com­pu­ter­to­mo­gra­phie-Bild, 40x60cm, 2018

 

Kata­log­text:

Auf­zeich­nun­gen in den Raum hinaus

Ire­ne Wein­gart­ner betreibt eine lang­jäh­ri­ge ver­tief­te Recher­che im Bereich der Zeich­nung und hat im Feld ihrer Stu­di­en eine brei­te Samm­lung ange­legt. Mit­tels einer von der Künst­le­rin erar­bei­te­ten Metho­de hält sie zu The­men, wel­che sie bewe­gen, Annah­men und Fra­ge­stel­lun­gen in Form von Auf­zeich­nun­gen fest. Im Ver­gleich zu Bild­ge­ben­den Ver­fah­ren wie sie in der Wis­sen­schaft ange­wen­det wer­den, sucht Ire­ne Wein­gart­ner nach einer objek­ti­ven, ent­per­so­na­li­sier­ten Dar­stel­lungs­wei­se, die sich auf gestell­te Annah­men oder Fra­ge­stel­lun­gen kon­zen­trie­ren. Sub­jek­ti­ve Ein­flüs­se durch eine vor­ge­fass­te Mei­nung oder durch Tages­stim­mun­gen und Umwelt­ein­flüs­se ver­sucht sie aus­zu­schlies­sen, indem sie sich in ihrem Ate­lier einen Ort schafft, wo sie die nöti­ge Ruhe und Abge­schie­den­heit fin­det, um sich in eine fokus­sier­te Kon­zen­tra­ti­on zu ver­setz­ten. Sie setzt sich aus­schliess­lich mit dem zu unter­su­chen­den Gegen­stand aus­ein­an­der und nutzt ihren Kör­per als Reso­nanz­raum um Impul­se zum Unter­su­chungs­ge­gen­stand zu erfas­sen und auf­zu­zeich­nen. Es ent­steht eine Span­nung zwi­schen dem Gegen­stand der Unter­su­chung und ihrer Per­son als den­ken­des und füh­len­des Wesen. Die­se Span­nung ver­sucht sie in der Auf­zeich­nung in Form von Anord­nun­gen von Punk­ten und Stri­chen in vari­ie­ren­der Dich­te und Inten­si­tät dar­zu­stel­len. Ihre Kon­zen­tra­ti­on wider­spie­gelt sich in kla­ren und siche­ren Stri­chen. Es ent­ste­hen flä­chi­ge Struk­tu­ren und Mus­ter, die sich je nach Gegen­stand stark unter­schei­den. Die­se flä­chi­gen Auf­zeich­nun­gen erin­nern an kar­to­gra­phi­sche Auf­zeich­nun­gen oder an Tex­tu­ren von wis­sen­schaft­lich auf­ge­zeich­ne­ten Mate­ria­li­en oder Gewe­ben. Sie zei­gen Land­schaf­ten und Struk­tu­ren, sind aber für den Betrach­ter nicht deutbar.

Ire­ne Wein­gart­ner tes­tet ver­schie­de­ne Dar­stel­lungs­wei­sen, wel­che die zwei­di­men­sio­na­le Dar­stel­lung über­schrei­ten und in den Raum hin­aus tre­ten. So über­la­gert sie ihre Zeich­nun­gen mit Trans­pa­rent­pa­pier, zeich­net Akzen­te nach, schnei­det Leer­räu­me aus und bil­det eine drit­te Dimen­si­on in der Auf­zeich­nung. Sie baut Model­le von den Auf­zeich­nun­gen aus­ge­hend die den Raum oder Land­schaf­ten ana­ly­sie­ren. Um die­se Model­le über eine digi­ta­le Schnitt­stel­le zu erfas­sen und wei­ter zu bear­bei­ten, arbei­tet sie im Spi­tal an einem Com­pu­ter­to­mo­gra­phen und tes­tet die Mög­lich­kei­ten der Daten­auf­zeich­nung die­ses Gerä­tes, die viel wei­ter­rei­chen als die übli­chen Dar­stel­lungs­wei­sen, die zur Zeit in der Medi­zin ange­wen­det werden.

Sie ent­wi­ckelt ihre Arbeits­wei­se in einer kon­ti­nu­ier­li­chen Ana­lo­gie zu Bild­ge­ben­den Ver­fah­ren, wie sie in der Wis­sen­schaft ange­wen­det wer­den und unter­sucht die Mög­lich­kei­ten die­ser Ver­fah­ren und ver­weist spie­le­risch auf ihre Gren­zen, indem sie sich als Künst­le­rin über die streng vor­ge­schrie­be­nen Kon­ven­tio­nen der empi­ri­schen For­schung hin­weg­setzt. So inter­es­siert sie sich für Hypo­the­sen, die in ihrer viel­schich­ti­gen Kom­ple­xi­tät in einer wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chung nicht ana­ly­siert und abge­bil­det wer­den könnten.

Die Betrach­te­rin, der Betrach­ter ist kon­fron­tiert mit einer nicht auf­schlüs­sel­ba­ren Stu­die, kann aber die Kom­ple­xi­tät und Inten­si­tät der Aus­ein­an­der­set­zung nach­voll­zie­hen, bei­na­he nachempfinden.

Die­se dezi­dier­te (gewoll­te) Unles­bar­keit wirft erneut die Fra­ge nach der Objek­ti­vi­tät auf. In wie fern sind wir Men­schen, auch als Wis­sen­schaft­ler, in der Lage die Welt dar­zu­stel­len, so wie sie ist? Wel­che Ele­men­te wer­den dabei sicht­bar und wie wer­den sie dar­ge­stellt? Alle Ver­su­che, die getä­tigt wer­den, beinhal­ten will­kür­li­che Ent­schei­dun­gen, die von der zeich­nen­den Per­son als wich­tig erach­tet wer­den. Sie sind daher nicht mehr neu­tral, son­dern sie ver­wei­sen auf eine emp­fun­de­ne Dring­lich­keit. In der Betrach­tung von Ire­ne Wein­gart­ners Zeich­nun­gen fehlt die Legen­de mit den Erklä­run­gen der Zei­chen. Wir kön­nen Pro­zes­se, Ver­schie­bun­gen, Rhyth­mi­sie­run­gen und Inten­si­tät ver­su­chen nach­zu­voll­zie­hen und zu loka­li­sie­ren. Es gibt jedoch eine Unsi­cher­heit die bleibt. Klar erscheint, dass eine Inter­pre­tier­bar­keit nicht beab­sich­tigt wird, inso­fern eine gesamt­heit­li­che Erfas­sung von Situa­tio­nen indi­vi­du­ell und nicht über­trag­bar ist. Sicht­bar sind jedoch Pro­zes­se und Struk­tu­ren der Wahrnehmung.

In der Aus­stel­lung wer­den ver­schie­de­ne Dar­stel­lungs­wei­sen von Ire­ne Wein­gart­ners Auf­zeich­nun­gen gezeigt. Die Über­gän­ge und Bezü­ge von der Zeich­nung über Aus­schnitt­zeich­nun­gen bis zu den vir­tu­el­len Abbil­dun­gen von Model­len aus dem Com­pu­ter­to­mo­gra­phen wer­den auf­schluss­reich präsentiert.

Susan­ne Sauter

 

Der Gale­rie­ka­ta­log kann bei der Sam Scher­rer Con­tem­po­ra­ry Gale­rie bezo­gen werden.